Lilly
Lilly ist wohl gut 21 Jahre alt geworden. Direkt neben dem Friedhof in Gütersloh, wo wir sie seinerzeit mit ihrer ganzen Familie einfingen, fanden damals Herbstjagden statt. Wir waren sehr froh, als wir schließlich nach Monaten nächtlicher Fangeinsätze alle neun Tiere sicher in der Melanchthonstraße hatten. Sie würden keinen grausamen und qualvollen Tod sterben, wie ihn heimatlose Katzen immer noch erleiden. Weil Menschen nicht für Tiere einstehen, die sie sich angeschafft haben. Die ganzen neun Katzen waren in sehr schlechter Verfassung gewesen, abgemagert, hatten Verletzungen und viele Krankheiten. Manche der Katzen blieben extrem scheu, andere konnten wir nach Jahren vorsichtig anfassen.
Lilly brauchte und wollte keine Menschen in ihrer Nähe. Futter reichte ihr. Als wir sie vor einigen Jahren in Gütersloh mit der Falle einfangen mussten, um sie hierher nach Varensell bringen zu können, hätte sie den Transport fast nicht überlebt, so panisch war sie und damals ja schon sehr alt.
Sie konnte es einfach überhaupt nicht aushalten angefasst oder in die Enge getrieben zu werden. Ihre Panik in solchen Situationen ließ einen mit Schaudern an all die Wildtiere denken, die in Jägerfallen sitzen, oft lange Zeit, bevor sie schließlich umgebracht werden.
Lilly war zurückhaltend zu Katzen, aber sehr freundlich, wenn sie jemanden mochte. Sie war zeitlebens sehr eng vertraut mit ihrem Vater Tiger und ihrem Bruder Choco. Nach und nach sind alle ihre Verwandten verstorben. Hier in Varensell angekommen, schloss sich Lilly der alten Hofkatze Püppi an. Die beiden Tiger lagen oft ganz eng zusammen und kuschelten. Wir haben uns sehr über diese tiefe Freundschaft der beiden alten Damen gefreut.
Lilly war sehr sportlich, drahtig, hatte kein Gramm zu viel und konnte früher irrsinnig gut klettern. Leider war sie eine sehr erfolgreiche Jägerin.
In den letzten Jahren merkte man ihr die Jahre an. Sie hörte nichts mehr und konnte auch nicht mehr gut sehen. Weil sie immer gerne hoch liegen wollte, bauten wir ihr Aufstiege auf Schränke und Kletterbäume. So konnte sie ohne Mühe auch den hohen Kleiderschrank erreichen, auf dem sie gerne mit Püppi zusammen schlief. Auch den tollen großen Kletterbaum, den wir im letzten Winter anschaffen konnten, nutzte sie gerne. Und ihr Separee, der Vorbau vor der unteren Katzenwohnung, wo Tiger II zeitweise residiert hatte, mit Blick zu Caruso samt Familie, Freddy und den anderen Katzen, liebte sie sehr. Dort lag sie im Sommer stundenlang draußen an der frischen Luft und auch während der Nächte, wenn die warm waren.
Lilly hatte ein langes gutes Leben, aber sie musste von vielen Freundinnen, Freunden und Familienmitgliedern Abschied nehmen, das Schicksal aller, die ein hohes Alter erreichen. Einer bleibt ja immer zurück. Nun ist es Püppi.
Wir sind froh, dass Lilly noch die schöne Sommerzeit genießen konnte. An den letzten warmen Tagen hat sie noch stundenlang im Strandkorb gelegen, doch baute sie jetzt schnell ab.
An einem sonnigen Septembertag ist Lilly in die ewigen Jagdgründe gegangen. Wir sind froh, dass wir die wunderbare kleine stolze unabhängige Tigerkatze all die Jahre beschützen und auf ihrem letzten Weg begleiten konnten.
Lilly hatte eine Patin und einen Paten. Ihnen und allen Menschen, die mit ihren Spenden mitgeholfen haben, dass wir Lilly immer so gut versorgen konnten, wie sie es zuließ, herzlichen Dank.