Abschiede

Abschied von Lotta

Seit einer Woche wusste ich, dass es Zeit wurde zu gehen für die süße Lotta, unseren kleinsten und schnellsten Esel, Lottikarotti. Seither war jede Nacht schwarz und schlaflos, jeder Tag voller Sorge und Schmerz – obwohl ich wusste, dass für Lotta getan worden war, was möglich war, und niemand damit gerechnet hatte, dass wir sie so viele Jahre bei uns haben würden. Ich hatte große Angst vor der Vorstellung, dass sie nicht mehr da sein würde.

Lotta war uns Menschen schnell bedingungslos zugetan, legte ständig vertrauensvoll ihren zierlichen dunkelgrauen Kopf auf unseren Rücken, ein Zeichen ihrer tiefen Zuneigung. Sie konnte nie genug bekommen von Streicheleinheiten und Bürstenstrichen. Wie unser erster Esel, der auf einem Reiterhof gefürchtete Herbert, hatte sie sofort verstanden, dass wir ihr wohl wollten, folgte uns vertrauensvoll überall hin.

Tiere spüren und wissen so viel mehr als wir ahnen. Dennoch behandeln wir sie wie minderwertige Lebensformen, nutzen sie aus, zwingen sie zu Dingen, die sie nicht wollen, quälen und töten sie und ihre Familien, selbstverständlich, legal, mehrheitlich ohne moralisches Unrechtsbewusstsein.

Vor 15 Jahren hatten wir Lotta und Mira in vernachlässigtem Zustand aufgenommen. Beide waren damals schon irgendwas über 30 Jahre, hatten weder Pässe, Chip, Impfung, Wurmkur gesehen, noch waren sie anderweitig tierärztlich begleitet worden. Beide lahmten stark und hatten entzündete Gebisse. Zahnspitzen hatten Backen und Zungen verletzt, ähnlich, wie man es oft bei Kaninchen sieht. Es brauchte mehrere Behandlungen, bis die schlimmsten Schäden gemildert waren. Sie ließen es geduldig geschehen.

Die beiden hinkenden alten Damen hatten sich in einem Dreckloch voll Kot und Urin zwischen vielen jungen Eseln behaupten müssen. Ein dreckiger Bottich mit Trinkwasser war gefroren und die Tiere leckten das Eis. Das dort zuständige Veterinäramt hatte allerdings keine Missstände festgestellt.

Die liebe Lotta, mit ihrem jungen Gesichtsausdruck und der einzigartigen melodisch singenden hohen Stimme, hatte viele Handicaps: ein überempfindliches Immunsystem, immunvermittelte Augenentzündungen, Sommerekzem, einen empfindlichen Darm, chronische Hufrehe….Trotz allem flitzte Lotta im Galopp sagenhaft schnell über die Weiden und überholte die anderen drei jederzeit.

Wir hatten ihre Erkrankungen viele Jahre im Griff, mit regelmäßiger tierärztlicher Unterstützung, Einreibungen, Ganzkörperfliegenschutz, Augentropfen, engmaschigen Hufschmiedbesuchen, Medikamenten und den extra für sie angefertigten winzigen Hufschuhen.

Lotta war immer freundlich. Sogar extrem ängstliche Kinder fassten Vertrauen zu ihr. Sie hat den Menschen so viel Zuneigung entgegengebracht. Das weiß jeder, der sie kannte.

Wie Mira den Abschied verkraftet, das wissen wir nicht. Sie ist noch älter, hat auch starke Hufveränderungen, bekommt Medikamente. Sie und Lotta hingen sehr aneinander. Alle Esel und die Pferde hatten viel Zeit sich von Lotta zu verabschieden. Das hilft hoffentlich. In diesem Moment isst Mira jedenfalls.

Der Abschied von Lotta und dass wir ihn für sie und ihre Freunde mit etwas Aufwand angstfrei gestalten konnten, macht bewusst, welche Riesenschuld wir Menschen als Gesellschaft tragen. Jeden Tag. Eine angst- und schmerzfreie Tötung bei Tierversuchen, der Jagd oder Schlachtung gibt es nicht.

„Meine Botschaft ist ganz einfach: Gebt nicht auf! Für den Triumph des Bösen braucht es nichts weiter, als dass die Guten untätig bleiben. Also seid nicht passiv.« Auch wenn Alexej Navalny bei diesen Worten nicht den Umgang mit Tieren im Sinn hatte, können wir sie für die Tiere nutzen. Navalny war unglaublich mutig. Trotz Bedrohung von Leib und Leben trat er unbeirrt gegen das Böse ein.

Ich persönlich bin feige, ängstlich und oft verzagt. Aber uns drohen ja weder Tod noch Folter. Zum Glück haben wir es viel leichter als Navalny, für die Tiere einzutreten, jeden Tag.

Es beruhigt mich nicht, unseren Tieren ein schönes Leben mit viel Selbstbestimmung, intensiver medinischer Hilfe und guter Versorgung zu bieten. Es reicht nicht unsere liebe kleine Lotta im Sterben zu begleiten. Wir müssen Menschen bewusst machen, wie viel sie selbst tun können, damit die Erde auch für die Tiere lebenswert wird, Sorge zu tragen für die Tiere, statt sie auszunutzen und zu misshandeln. Das kann jede und jeder.

Lotta und Mira hatten bei uns 15 gute Jahre. Dafür danke ich ihren PatInnen und allen Menschen, die uns dabei helfen, die immensen Kosten für die Versorgung so alter und kranker Tiere immer wieder irgendwie aufzubringen. Zusätzlich zu der aufwendigen täglichen Versorgung kommen die ständigen Tierarzt- und Klinikbesuche ja noch hinzu, die noch einmal viel Zeit und Geld kosten.

Es gibt viel zu bedenken, wenn das Leben eines Esels zu Ende geht, nicht nur die ganzen medizinische Aspekte. Es muss geregelt werden, was mit dem Leichnam passieren soll. Die Kremierung von Eseln und Pferden ist mit Verwaltungsaufwand und sehr hohen Kosten verbunden. Wir sind sehr dankbar dafür, dass die Kosten dafür von einem Mitglied privat getragen werden, so dass Lottas Leichnam mit Achtung behandelt wird.

Während der letzten Woche wurden alle Tiere weiter zuverlässig versorgt, tierärztlich behandelt und die andere tägliche Vereinsarbeit erledigt. In solchen Zeiten funktioniert man wie eine Maschine. Aber jetzt bin ich ausgelaugt. Ich schreibe euch das, weil mir die Kraft fehlen wird, auf Eure/Ihre freundliche Anteilname zu antworten. Meine Trauer um Lotta ist auch noch zu groß. Obwohl ich verstandesmäßig weiß, dass sie jetzt einfach nur dort ist, wo sie auch schon war, bevor sie Esel war, bin ich unendlich traurig und vermisse sie so.